CDU und FDP zerlegen sich gerade an einer Frage, die schon längst beantwortet wurde. Von den Wählerinnen und Wählern. Ein Rechtsruck würde die FDP wieder aus den Parlamenten fegen und die CDU weiter in Richtung 20 % drücken. Auch in anderen Parteien gibt es immer wieder VertrerInnen, die AfD-Wähler „zurückgewinnen“ wollen. Aber aus einer falschen Analyse der Ausgangslage kann keine erfolgreiche Strategie entstehen. Wer rechts blinkt, verliert nach rechts. Hier ein paar Fakten statt Fake.
Man muss nicht nur die aktuellen Umfragen (Infratest, Forsa) aus Thüringen betrachten, die die CDU dort nach ihrer Kumpanei mit der AfD um 9-10 Prozentpunkte auf insgesamt nur noch 12-13 % fallen lassen, um zu erkennen, dass Anbiederei der ganz falsche Weg ist, um Rechtspopulisten zu bekämpfen. Auch 75 % der Befragten in ganz Deutschland lehnen die Wahl des FDP Kandidaten durch AfD, CDU und FDP ab (Forsa). Es ist schon seit Jahren kein Geheimnis mehr, auch wenn es einige JournalistInnen und PolitikerInnen immer noch nicht glauben wollen: Deutschland ist wesentlich moderner, liberaler und unerschrockener als sie es wahrnehmen wollen – oder es vielleicht selbst sind. Ja, Deutschland ist gespalten. Aber nicht 50:50, sondern etwa 80 %: 20 %. In 80 % im weitesten Sinne liberale Demokraten und maximal 20 % national-autoritär orientierte Antidemokraten. Das hat sich bei der Bundestagswahl gezeigt und zeigt sich auch in den aktuellen Umfragen. Diese Formel gilt auch für den Osten, wenn auch in einem leicht veränderten Verhältnis von 70:30 (zugunsten der liberalen Demokraten, nur zur Sicherheit nochmal betont). In Thüringen stimmten 71,1 % für CDU, FDP, SPD, Linke und Grüne, in Sachsen 67 % und in Brandenburg 67,8 %. Den höchsten Wert erreichte die AfD mit 27,5 % in Sachsen, auf Bundesebene bei der Wahl 2017 ging sie mit 12,6 % ins Ziel. Die Linke entwickelt sich bereits seit Jahren -wie die Grünen vor ihr – so sehr in die politischen Mitte, dass es keinen Sinn machte, sie herauszurechnen. Schon gar nicht in Thüringen mit Bodo Ramelow an der Spitze, den dort 71 % der Bevölkerung für einen guten Ministerpräsidenten halten und nur 18 % nicht – also weniger, als die AfD Wähler hat (Infratest für den MdR, 10.2.20).
Man ging übrigens auch schon früher davon aus, dass rund 15-20 % der Deutschen empfänglich für Rechtsnationalismus waren, es aber keine Partei für sie gab. Die Zahl ist ja auch nicht weiter verwunderlich für ein Land, das der Welt den radikalsten Faschismus der Geschichte beschert hatte. Von nichts kommt ja nichts.
Wir können uns aber auch einmal ein paar Themen ansehen. Ich nutze hierzu die Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen, weil es einfach eines der seriösesten Institute ist und sich außerdem reißerischer Interpretationen enthält. Diese Zahlen werden aber im Grunde von allen anderen Erhebungen die ich kenne gedeckt (und ich kenne eigentlich alle von allen Instituten, weil das mein Beruf ist.)
International (man muss ja nicht immer nur nach Deutschland schauen), gehört zum rechtspopulistischen Weltbild: Ausländerfeindlichkeit, Einwandererfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Minderheitenfeindlichkeit (es sei denn, man gehört ihr an), Homophobie, Antisemitismus, Nationalismus (inkl. EU-Ablehnung), Leugnen des Klimawandels, Ablehnung von alternativen Energien/Antrieben (Elektroautos, Windräder etc.), die Verteidigung fossiler Brennstoffe und deren Erzeugnisse (Braunkohle, Öl, Diesel, Plastik), Relativierung des Artensterbens und generell die Ablehnung jeglichen gesellschaftlichen Fortschritts. Ergänzt wird dies durch die permanente Opferrolle (selbst wenn man regiert) und damit verbunden natürlich die Ablehnung kritischer Presse, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (es sei denn, man kontrolliert ihn) und der Demokratie.
Das ist alles nicht neu. Denn im Grunde geht es immer darum, dagegen zu sein und alles soll so bleiben, wie es war. Daher erklärt sich zum Beispiel auch der rechte Widerstand zum Ausstieg aus der Braunkohle bei gleichzeitiger Ablehnung von Windenergie und dem Tesla-Werk in Brandenburg. Das passt alles in den rechten Kanon und zwar weltweit.
Aber was sollte eine CDU, die FDP oder sonstwer einem solchen Wähler mit geschlossenem rechtsnationalen Weltbild anbieten? Die FDP versucht es bereits seit einiger Zeit mit einem Schulterschluss mit den Pestizid-Fans unter den Bauern (es sind weiß Gott nicht alle), ein bisschen Klimawandelskepsis hier und immer mal wieder einem halbherzigen einwanderkritischen Poops da. Aber das führt natürlich zu nichts.
Einige in der CDU würden gerne die Merkel-Ära, noch während sie andauert, vergessen machen, aber 15 Jahre löscht man auch nicht einfach so aus dem Gedächtnis der Leute, selbst wenn es Sinn machte. Es macht aber noch nicht einmal Sinn. Und auch in 16 Jahren Kohl war die CDU keine rechtskonservative Kraft, sondern absoluter Mainstream, indem auch eine Rita Süssmuth Platz hatte (daher auch die 16 Jahre!). Auf Thatcher-Kurs wäre Kohl jedenfalls in Deutschland nicht gewählt worden. Was die Merkel-Kritiker dabei vergessen ist, dass die Modernisierung des Gesellschaftsbildes der CDU an die Realitäten unserer Zeit gerade erst den Erfolg über so viele Jahre möglich gemacht hat.
Werfen wir einen Blick auf die Verfasstheit des Volkes in unserer Zeit und schauen uns einmal die Themen an, an denen sich die Geister zur Zeit scheiden.
Im Januar 2019 fragte die FGW folgendes:
Das möglichst schnelle Abschalten von Braunkohlekraftwerken ist mir:
Besonders wichtig/sehr wichtig: 73 % Gesamtbevölkerung. Davon CDU/CSU: 71 %
Die größte Nähe zu den AfD-Wählern, denen das Thema nur zu 46 % wichtig ist, haben (wie in fast allen anderen Umfragen auch), die FDP Wähler. Allerdings wollen auch diese mehrheitlich schnell raus (65 %).
Eine Tempolimit von 130 km/h oder darunter auf Autobahnen befürworten im Februar 2020 65 % der Befragten. 33 % wollen keines.
Klar: Man kann für Kohle und gegen Tempolimit sein und ist deshalb noch kein Nazi. Die hohen Werte für eine progressive Politik zeigen allerdings, dass der lautstarke rechte Kanon bei den übrigen Wählern absolut null verfängt. Im Gegenteil. Die Werte für eine progressive Politik nehmen sogar zu.
Im Januar 2020 wollen 75 % der Befragten eine weiterhin enge Zusammenarbeit in der Europäischen Union oder mehrheitlich sogar engere Zusammenarbeit (63 % enger + 12% gleichbleibend). Nur 22 % wollen mehr nationale Eigenständigkeit.
76 % der Befragten im August 2018 halten Rechtsextremismus in Deutschland für eine große Gefahr für unsere Demokratie. Dazu zählen die Anhänger aller Parteien (FDP: 75 %, SPD 91 %, Grüne 90 %, CDU/CSU 78 %, Linke 87 %) bis auf (natürlich) die Anhänger der AfD. Die AfD Anhänger halten Rechtsextremismus mehrheitlich für keine Gefahr – nur 34 % sehen eine Gefahr. Keine Überraschung hier …
Im August 2018 wurde in Deutschland das Projekt „Spurwechsel“ diskutiert. Es ging darum, ob Asylbewerber trotz Ablehnung in Deutschland bleiben sollten, wenn sie einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz haben. Eine gute Frage, um einzuordnen, wie negativ die Befragten einer Einwanderung grundsätzlich gegenüberstehen. Denn wer grundsätzlich ausländerfeindlich ist, dem ist auch egal, wie weit der Integrationsprozess fortgeschritten ist. Das Ergebnis: 77 % der repräsentativ Befragten waren für die Möglichkeit eines Spurwechsels. Davon 83 % der Anhänger von CDU/CSU (SPD 83 %, Grüne 89 %, FDP 88 %, Linke 79 %.
Die einzigen Anhänger die den Spurwechsel mehrheitlich ablehnten? Richtig: Die der AfD.
Im Januar 2020 meinten 69% der Gesamtbevölkerung, dass Bundeskanzlerin Merkel ihre Arbeit alles in allem „eher gut“ mache. Ich nehme an, da waren auch ein paar Anhänger der CDU/CSU dabei …
Was will ich sagen. Es gibt neben diesen für viele scheinbar immer noch abstrakten Zahlen ein paar ganz reale Feldversuche von CDU/CSU. So versemmelte Julia Klöckner mit ihrem Rechtsruck in letzter Minute ihre bis dato herausragende Führung in Rheinland-Pfalz 2016. Innerhalb von 8 Wochen verwandelte sie einen 10-Prozentpunkte Vorsprung in eine krachende Niederlage mit dem schlechtesten CDU-Ergebnis in der Geschichte von Rheinland-Pfalz. Und so ging es seither allen Rechtsblinkern der CDU – oder auch Seehofer und Söder in Bayern, die die CSU mit ihrem damaligen Rechtskurs auf 37,2 % drückten. Sie machten damit nicht die AfD stark (die blieb vergleichsweise niedrig), sondern die Grünen. Wie zuvor schon in Baden-Württemberg war für diese Wähler der Weg zu den bürgerlichen Grünen einfacher als zur traditionell schwachen SPD. Seither rückt Söder wieder in die Mitte und verfolgt das Projekt Brandmauer. Die FDP eiert so schlimm herum, dass aus einem Modernitätsversprechen 2017 ein Reaktionärsverdacht 2020 wurde. Mit Kurs ins Nirvana.
Ja, es gibt Wähler (und auch einige Wählerinnen, aber deutlich weniger), die über die letzten Jahre von CDU/CSU, SPD, FDP und Linken zur AfD abgewandert sind. Weil heute andere Entscheidungskriterien gelten als noch vor 5 Jahren.
Diese Wählerinnen und Wähler hängen mittlerweile allerdings einem weitestgehend geschlossenen Weltbild an, das CDU/CSU oder FDP nur mit einem existenzbedrohenden Verlust auf der anderen Seite bedienen könnten. Die Grünen aber auch die SPD stehen bereit, den Fallout aufzusammeln, den eine Rechtsdrift der Union nach Merkel mit sich bringen würde.
Man kann jetzt beklagen, dass diese grundsätzliche Orientierung an demokratischen Werten zu einer geringeren Unterscheidbarkeit der demokratischen Parteien sorgt. Oder man kann sich darüber freuen, dass 80 % der Wählerinnen und Wähler genau diese Parteien deshalb wählen. Weil sie sich wie zuvor schon in einzelnen politischen Fragen unterscheiden – aber nicht in den Grundwerten. Wer mehr Krawall will – und das sind leider auch viele Journalisten – trifft in keinster Weise den Willen der Bevölkerung.
Die wenigen Grenzgänger der AfD, die für die Demokratie und die Werte einer aufgeklärten Gesellschaft überhaupt noch zu gewinnen sind, gewinnt man durch Konsistenz, Überzeugung und einen klaren Kurs. Hier kann nach so langer Zeit auch ein Personalwechsel helfen. Aber kein Kurswechsel. In vielen ostdeutschen Landtagen sind die Fraktionen der CDU aber auch der FDP längst von Abgeordneten unterwandert, die nach ihrem Weltbild eigentlich zur AfD gehören. Sollten sich die Parteien weiter nach ihnen ausrichten, machen sie sich nur noch überflüssiger. Die CDU muss berücksichtigen, dass von den Anhängern – und vor allem Anhängerinnen – die sie noch hat, vermutlich die Hälfte überhaupt nur noch wegen Angela Merkel bei ihr sind. Aber was soll man sagen. Jeder ist seines Glückes Schmied.
Autor: Frank Stauss