Deutschland hat seit acht Wochen einen neuen Bundeskanzler. Aber nachdem der letzte Wechsel im Kanzleramt sechzehn Jahre zurückliegt, haben viele – auch in den Medien – offenbar verlernt, was das tatsächlich bedeutet.
Olaf Scholz wurde am 8. Dezember 2021 im Deutschen Bundestag vereidigt. Heute ist der 8. Februar 2022. Dazwischen lagen noch Weihnachten und Neujahr. Zwischen der Wahl am 26. September 2021 und der Vereidigung lagen außerdem noch relativ kurze Koalitionsverhandlungen an deren Ende erst die genaue Aufteilung der Ministerien und die Bestellung der MinisterInnen-Riege lag. Es folgte die Konstituierung einer neuen Regierung in einer bisher auf Bundesebene noch nie dagewesenen Konstellation. Ministerien wurden neu zugeschnitten, eines komplett neu gegründet. StaatssekretärInnen aber auch hunderte von MitarbeiterInnen wurden bestellt, wechselten zum Teil die Resorts oder begannen ihre Arbeit ganz von vorne. Zum Teil wurden Stellen noch gar nicht besetzt, weil man noch auf begehrte MitarbeiterInnen wartet, bis diese aus ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis wechseln dürfen. Das alles geschieht gerade.
In den 16 Jahren zuvor blieb nach dem Amtsantritt 2005 zumindest im Kanzleramt alles beim Alten, viele Ministerien blieben ebenfalls in der gleichen Hand, CDU/CSU regierten durch und nur der Koalitionspartner wechselte mal von SPD zu FDP und wieder zurück.
Heute regiert zwar die SPD weiter, allerdings wurden die Häuser komplett neu zugeschnitten und zum ersten Mal seit 2005 gibt es zum Beispiel wieder sozialdemokratisch geführte Innen- und Verteidigungsministerien. Die FDP regiert erstmals seit 2013 wieder auf Bundesebene, die Grünen erstmals seit 2005.
2005 übrigens, nur zur Einordnung, war das Jahr in dem Johannes Paul der II. starb, George W. Bush seine zweite Amtszeit antrat, das iPhone noch nicht auf dem Markt war, Facebook gerade ein paar Monate zuvor gegründet wurde und die Welt weder von Twitter noch von Uber, Airbnb und Co. je gehört hatte. Weil es sie noch nicht gab.
Das ist also alles recht lange her. Wer zum Beispiel 2005 in einem Medienhaus mit 25 Jahren nach der Uni anfing ist heute 41 und hat bisher nur in anderen Ländern erleben können, was ein Machtwechsel bedeutet. Eine Transition-Phase – also eine Übergangsphase zur Vorbereitung auf die Regierung, wie es sie in den USA sinnigerweise zwischen dem Wahltag in der ersten Novemberwoche und der Amtseinführung am 20. Januar des Folgejahres gibt – kennt unsere Verfassung nicht. Obwohl es natürlich großen Sinn ergäbe, wenn zwischen dem harten Wahlkampfende und den nicht minder harten Koalitionsverhandlungen noch Zeit wäre, Personal zu rekrutieren und einzuarbeiten. Und auch mal auszuschlafen.
Aber selbst mit Transition-Phase beginnen neue Administrationen häufig rumpelig und es muss sich vieles erst einmal „zurechtruckeln“ (A. Nahles).
Grundsätzlich nicht einfacher machen den Start einer neuen Regierung eine Pandemie, ein durchgeknallter russischer Präsident und eine Öffentlichkeit, die nach einer Pressekonferenz des Bundeskanzlers am 25. Januar nur wenige Tage später eine „Wo ist Scholz?“-Kampagne startet.
Und was die schon sehr lange andauernde „Ukraine-Krise“ – die in Wahrheit ja ausschließlich dem monströsen Minderwertigkeitskomplex Putins entsprungen ist – und die wichtige Rolle Merkels 2014 in den Gesprächen angeht: Zu diesem Zeitpunkt war Merkel bereits neun Jahre Bundeskanzlerin. Nicht neun Wochen. Ich persönlich begrüße es daher, wenn ein neuer Kanzler nicht in den ersten Tagen meint, die Welt retten oder Waffen in ein Krisengebiet schicken zu müssen. Kann man das vielleicht etwas klarer formulieren? Da geht wohl noch was.
Ansonsten drücken aktuell noch das Wetter, die nervigen Masken, die gestiegenen Energiepreise, die Inflation und die nicht enden wollende Irrenparade der Querdenker aufs Gemüt. Aber das wäre unter keinem Kanzler anders.
Kann man daher grundsätzlich auch sagen, dass wir in der Beurteilung der Herausforderungen einer Regierungsübernahme in dieser Zeit auch etwas mehr Geduld von uns selbst verlangen dürften?
Ich denke, da geht noch was.
Autor: Frank Stauss