Zum Untergang der Ratio in der CSU

Viele Beobachter suchen die Strategie im Verhalten der CSU und ganz besonders der Akteure Seehofer und Söder. Aber Strategie setzt Ratio voraus. Dabei ist es keineswegs außergewöhnlich, dass selbst auf höchster Ebene Psychologie entscheidender ist, als Rationalität.

Die psychologische Konditionierung von Schlüsselakteuren in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kann entscheidend sein für Erfolg, Misserfolg, Frieden oder Krieg. Und für alles dazwischen. Das ist eigentlich kein Geheimnis und wir wissen auch aus unserem persönlichen Alltag von den klassischen Psychospielchen die einem in Beziehung, Beruf oder im Straßenverkehr begegnen.

Dennoch suchen wir inmitten eines Dramas wie dem gegenwärtigen Verhalten von Horst Seehofer und anderen in der CSU noch nach einem Rest von Strategie und Ratio – wo es schon längst keine mehr geben kann. Die Gegenseite – also die CDU hat bis zuletzt alles versucht, was man in einer solchen Situation unter den Stichworten „Gesichtswahrung“, „Brückenbauen“ und „Exit-Strategie“ anbieten kann. Merkel hat Macrons Verhandlungserfolge auf europäischer Ebene der CSU als Give-Away angeboten und jeder, der mit Sinn und Verstand an die Sache herangegangen wäre, hätte als CSU, Seehofer und Söder diesen Gast-Verhandlungserfolg für sich reklamiert. Damit wäre man einigermaßen sauber raus aus der Sache gewesen – denn zu gewinnen gibt es schon lange nichts mehr.

Spätestens in den 80er Jahren hat sich in den USA der Zweig der Forschung, der in der Psychologie einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis von politischem Verhalten sieht, immer mehr Gehör verschafft. Robert Jervis, Alexander L. George, Irving Janis und natürlich Barbara Kellerman, bei der ich Leadership Psychologie studieren durfte, stehen für diesen Ansatz. Berühmt wurde der heutige Analyseklassiker der sogenannten „Tuesday – Lunch – Group“, eines regelmäßig Dienstags tagenden kleinen Kreises rund um Präsident Lyndon B. Johnson. Diese Gruppe versank Schritt für Schritt in ihrer eigenen Blase und führten die USA immer weiter in einen Eskalationskrieg in Vietnam. Sie glaubten nur noch den Nachrichten und Frontberichten, die sie hören wollten, ignorierten die Warnungen und sahen schließlich nur noch Feinde in den denjenigen, die ihr Vorgehen hinterfragten. Der Rest ist grausame Geschichte.

Es gibt aber auch die andere Seite der menschlichen Münze. Die Sympathie, die der einstmals so eiskalte Krieger Ronald Reagan auf Island seinem Gegenüber Michael Gorbatschow entgegenbrachte, ebnete den Weg zu Abrüstung und Frieden zwischen den beiden Ländern weit über die Erwartungen und auch gegen den Widerstand der Hardliner auf beiden Seiten hinaus.

Diese Beispiele sind vielleicht ein bisschen zu groß geraten, um von hier den steilen Abstieg auf das Niveau der CSU zu wagen. Aber sie erklären, wofür es keine rationale Erklärung geben kann. Die CSU hat sich gefangen nehmen lassen von einem Streit, der lange andauert und der nur Verlierer kennen kann. Es ist eine Geschichte der Abneigung, des Misstrauens und vermutlich auch des Hasses, der kein Halten mehr kennt. Es ist die Geschichte von Söder und Seehofer, die sich seit Jahren bis aufs Messer innerparteilich bekämpfen und sich nun gemeinsam ausmanövriert haben. Ein Ministerpräsident, der vor den Trümmern seines Wahlkampfes steht, bevor dieser überhaupt begonnen hat.

Ein Parteivorsitzender und Innenminister, der nur noch das Ziel hat, möglichst viele mit sich in den Untergang zu ziehen und der in seinem Hass auf die Kanzlerin jede Hand beißt, die ihm gereicht wird.

Und natürlich ist es die Geschichte von zu vielen Macho-Männern ohne funktionierendes Korrektiv. Man hört sehr wenig von den Frauen in der CSU – was natürlich auch daran liegt, dass sie keine Führungsposition innehaben. Zum anderen wird es ihnen schlichtweg zu peinlich sein, was sie da erleben müssen.

Nein, es geht nicht um Europa, es geht nicht um Deutschland, es geht nicht um Flüchtlinge – es geht nicht einmal mehr um Bayern. Wir werden Zeugen einer verheerenden Gruppendynamik, für die es keine Ratio mehr geben kann. Sie führt uns nicht in den Treibsand von Vietnam oder in die Neuordnung der Welt – aber sie richtet den größtmöglichen Schaden an, den eine männerdominierte Regionalpartei in Deutschland anrichten kann. Und das kann einem ja auch schon reichen.

Autor: Frank Stauss