Mehr Respekt vor dem Wahlgang, bitte. Zu einer Wahl gehört ein Wahlkampf. Er ist tragende Säule einer freien, demokratischen Meinungsbildung. Und dafür braucht es Zeit.

Es ist erstaunlich wie wenig Respekt der ordentlichen Vorbereitung einer Bundestagswahl und auch der einer solchen Wahl vorausgehenden Meinungsbildung entgegen gebracht wird.

Trotz zunehmender Probleme in der Regierungskoalition kam der tatsächliche Bruch der Koalition am Ende doch für viele überraschend. Auch für die Parteien und ihre Mitglieder, die noch nicht ihre Nominierungen der Kandidat:innen für die eigentlich im September 2025 stattfindende Bundestagswahl abgeschlossen haben. Für die Neuwahl müssen jetzt Parteitage vorgezogen und die finalen Listen beschlossen werden. Wahlprogramme müssen auf demokratischem Weg erstellt und verabschiedet werden, damit die Menschen überhaupt ein klares politisches Angebot bekommen. In allen Bundesländern müssen Wahlhelfer:innen rekrutiert werden – 30.000 alleine in Berlin – Wahlunterlagen gedruckt und Wahllokale angemietet werden.

Und dann soll ja auch noch ein Wahlkampf stattfinden, der möglichst viele Bürger:innen im Land erreicht und ihnen überhaupt erst die Chance gibt, Kandidat:innen und Programme kennenzulernen, zu vergleichen und eine Entscheidung zu treffen.

Ein offener, fairer und freier Wahlkampf ist das Hochamt der Demokratie. Er unterscheidet Autokratien und Diktaturen von Demokratien.

Jetzt um wenige Wochen zu feilschen, nur um die Wahl Mitte Januar stattfinden zu lassen und damit den Wahlkampf in die Zeit von Weihnachten und Neujahr zu verlegen, ist respektlos gegenüber den Kandidat:innen und auch gegenüber denjenigen, die diesen Wahltag durch ihr ehrenamtliches Engagement möglich machen. Dazu gehören auch die unbezahlten ehrenamtlichen Wahlkämpfer:innen aller Parteien, die man dazu nötigte, in einer Zeit der Besinnlichkeit und Familie in den Wahlkampf zu ziehen.

Wir werden so oder so einen deutlich verkürzten Wahlkampf bekommen. Aber ein Urnengang im März ermöglicht immerhin einen „Not-Wahlkampf“, der wenigstens die Basiselemente einer demokratischen Willensbildung beinhalten kann. Einschließlich der notwendigen Debatten, Haustürbesuche, Veranstaltungen (auch für diese müssen Räumlichkeiten gefunden und gebucht werden) und den Austausch von Argumenten.

Wer heute davon ausgeht, dass die Menschen sowieso schon wissen, was sie wollen oder nicht, der verwechselt Stimmung mit Stimmen. Wer dieses Land führen will, sollte sich nicht vor einem echten Wahlkampf drücken. Diesen Eindruck kann man aber bei manchem Kanzlerkandidaten bekommen.

Es geht nicht darum, die Wähler:innen zu überrumpeln, sondern um sie zu werben und sie für sich zu gewinnen.

Im Jahre 2017 gab es beim Haushalt auch schon einmal eine Hängepartei, nachdem – wer wohl – Christian Lindner die Koalitionsgespräche mit Bundeskanzlerin Merkel im November hatte platzen lassen. Eine neue Regierung gab es dann erst im März 2018 – der Haushalt für das Jahr 2018 wurde erst mitten im Jahr – am 5. Juli 2018 – verabschiedet. Dazwischen wurde mit einer „vorläufigen Haushaltsführung“ der geschäftsführend amtierenden Regierung gearbeitet. Haben alle schon vergessen, die meisten auch überlebt, war aber so.

Helmut Kohl ließ sich 1982 im Oktober im Bundestag zum Kanzler wählen und die Menschen bestätigten ihn bei den vorgezogenen Neuwahlen im März 1983. Gerhard Schröder kündigte am 22. Mai 2005 eine Vertrauensfrage an, die er am 1. Juli stellte. Die Wahl fand dann am 18. September statt. Beides sind vertretbare Zeiträume von etwa 5 Monaten. Und dazwischen ging die Welt nicht unter. Weil wir ja auch eine Verfassung haben, die immer garantiert, dass es eine Regierung gibt. Für deren Handlungsfähigkeit es ebenfalls klare Mechanismen gibt.

Kohl wurde damals im Amt bestätigt. CDU/CSU verspielten im Jahr 2005 aber einen Vorsprung von 49% in den Umfragen vom Juli 2005 auf 35% am Wahltag im September. Die Menschen waren im ersten Fall zufrieden mit dem was sie im Wahlkampf erlebten, im zweiten Fall machten sie einen Rückzieher und verhinderten Schwarz/Gelb.

Eine Demokratie muss sich die Zeit für die Demokratie nehmen.